Warum rüstet China sein Atomwaffen-Arsenal massiv auf?
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Russlands Krieg gegen die Ukraine hat Ängste vor dem Einsatz von Atomwaffen ausgelöst. Friedensforscher des Instituts Sipri verzeichnen eine Trendwende bei der Zahl an einsatzbereiten Atomsprengköpfen. Dabei gerät China in den Blick.
Eine Militärparade mit einer Interkontinentalrakete von Typ Dong Feng 41 findet zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China am 1. Oktober 2019 in Peking statt. (Archivbild)
(Foto: Xia Yifang/XinHua//pa)
Von Markus Brauer/AFP/dpa
China hat einem Bericht zufolge sein Arsenal an einsatzfähigen Atomwaffen im vergangenen Jahr ausgebaut. Zwar sinke die Gesamtzahl der Atomwaffensprengköpfe weltweit weiter, erklärte das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri am Montag (12. Juni) anlässlich der Veröffentlichung seines jährlichen Berichts zu dem Thema.
Doch sei die Zahl der nutzbaren Atomsprengköpfe 2022 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen – insbesondere in China, hieß es weiter.
At the start of 2023, the 9 nuclear-armed states possessed an estimated 12 512 nuclear weapons: USA🇺🇸 5 244 Russia🇷🇺 5 889 UK🇬🇧 225 France🇫🇷 290 China🇨🇳 410 India🇮🇳 164 Pakistan🇵🇰 170 North Korea🇰🇵 30 Israel🇮🇱 90 Read more in #SIPRIYearbook 2023 ➡️ https://t.co/OX8Eubunzupic.twitter.com/BJzHpdODb7 — SIPRI (@SIPRIorg) June 12, 2023
„Wir nähern uns dem Ende eines langen Zeitraums der weltweit zurückgehenden Zahl von Nuklearwaffen oder haben es sogar schon erreicht“, sagt Sipri-Direktor Dan Smith.
Weniger nukleare Sprengköpfe, dafür mehr „scharfe“
Die Gesamtzahl der nuklearen Sprengköpfe im Besitz der Atommächte Großbritannien, China, Frankreich, Indien, Israel, Nordkorea, Pakistan, USA und Russland ging laut Sipri im vergangenen Jahr von 12.710 auf 12.512 zurück. Davon waren demnach allerdings 9576 in „militärischem Lagerbestand für potenziellen Gebrauch“ – 86 mehr als im Vorjahr.
States invest in nuclear arsenals as geopolitical relations deteriorate—New #SIPRIYearbook out now. Read the Press Release ➡️ https://t.co/OX8Eubunzu Download the Summary ➡️ https://t.co/aidzRARdk6pic.twitter.com/bpTnPbOQwt — SIPRI (@SIPRIorg) June 11, 2023
Sipri unterscheidet bei seinen Recherchen zwischen einsatzbereitem Lagerbestand und Gesamtbestand. Zu Letzterem gehören auch ältere Atomwaffen und solche, die für den Rückbau bestimmt sind.
Der Lagerbestand bezeichne die „nutzbaren Atomwaffensprengköpfe und diese Zahlen beginnen leicht zu steigen“, sagte Smith. Die Zahl sei aber noch weit entfernt von den mehr als 70.000 während der 1980er Jahre.
Überblick über die Atommächte und ihre atomaren Arsenale 2023:
Atomare Sprengköpfe insgesamt: 12.512
davon einsetzbar: 3844
davon in Reserve: 8668
China: 410 atomare Sprengköpfe in Reserve
Frankreich: 290 atomare Sprengköpfe
davon einsetzbar: 10
davon in Reserve: 280
Großbritannien: 225 atomare Sprengköpfe
davon einsetzbar: 120
davon in Reserve: 105
Indien: 164 atomare Sprengköpfe in Reserve
Israel: 90 atomare Sprengköpfe in Reserve
Nordkorea: circa 30 atomare Sprengköpfe in Reserve
Pakistan: 170 atomare Sprengköpfe in Reserve
Russland: 5889 atomare Sprengköpfe
davon einsetzbar: 4215
davon in Reserve: 1674
USA: 5244 atomare Sprengköpfe
davon einsatzbar: 1770
davon in Reserve: 3474
Vor allem China rüstet atomar auf
Der Großteil der aktuellen Steigerung ist auf China zurückzuführen, das seinen Lagerbestand von 350 auf 410 Atomwaffensprengköpfe erhöhte. Indien, Pakistan, Nordkorea und in einem geringeren Maße auch Russland erhöhten ebenfalls ihre Lagerbestände, die übrigen Atommächte behielten ihre Zahlen bei.
Russland und die USA verfügen nach wie vor gemeinsam über fast 90 Prozent aller Atomwaffen weltweit.
Rückschläge bei Verhandlungen über Atomwaffen-Begrenzung
Sipri-Forscher bemerkten zudem, dass diplomatische Bemühungen zur Atomwaffenkontrolle und -abrüstung seit der russischen Invasion der Ukraine Rückschläge erlitten hätten. So stoppte Washington seinen „bilateralen strategischen Stabilitätsdialog“ mit Moskau.
Russland hatte im Februar angekündigt, seine Beteiligung am 2010 abgeschlossenen Atomwaffen-Kontrollvertrag New Start zu beenden – laut Sipri „der letzte verbliebene“ Vertrag, der die strategischen Atomwaffen der USA und Russland beschränkt.
Smith verwies darauf, dass die steigenden Lagerbestände nicht mit dem Krieg in der Ukraine erklärte werden könnten, weil es länger dauere, neue Sprengköpfe zu entwickeln. Zudem seien die Länder mit den größten Erhöhungen nicht direkt vom Krieg betroffen.
Peking hat zuletzt viel in alle Bereiche seines Militärs investiert. „Was wir sehen, ist Chinas Aufstieg zur Weltmacht, das ist die Realität unserer Zeit“, betont Sipri-Direktor Smith.
Russland: 5889 atomare Sprengköpfe, davon einsetzbar: 4215, davon in Reserve: 1674. Atomrakete Topol-M (RS-12M2 auf MZKT-79221
(Foto: Wikipedia commons/Vitaly V. Kuzmin/CC BY-SA 4.0)
USA: 5244 atomare Sprengköpfe, davon einsetzbar: 1770, davon in Reserve: 3474. Trident II beim Start von einem getauchten U-Boot.
(Foto: Wikipedia commons/Wikipedia commons/Lockheed Martin)
Großbritannien: 225 atomare Sprengköpfe, davon einsetzbar: 120, davon in Reserve: 105.
(Foto: Wikipedia commons/HMS Vengeance/POA(Phot) Tam McDonald/MOD/OGL v1.0)
Frankreich: 290 atomare Sprengköpfe, davon einsetzbar: 10, davon in Reserve: 280. Le Redoutable (‚Der Furchterregende‘), das erste französische Atom-U-Boot.
(Foto: Wikipedia commons/Guillaume Rueda/CC BY-SA 3.0)
<b>Indien: </b>164 atomare Sprengköpfe in Reserve. Eine Agni-II-Rakete während einer Parade im Jahre 2004.
(Foto: Wikipedia commons/Antônio Milena (ABr)/CC BY3.0 br)
Pakistan: 170 atomare Sprengköpfe in Reserve. Pakistan demonstrierte seine Atomraketen in Karatschi anlässlich der IDEAS 2008.
(Foto: Wikipedia commons/SyedNaqvi90/CC BY-SA 3.0)
Israel: 90 atomare Sprengköpfe in Reserve Kernforschungszentrum Negev, Dimona, November 1968
(Foto: Wikipedia commons/American reconnaissance satellite KH-4 CORONA)
Nordkorea: circa 30 atomare Sprengköpfe in Reserve. Das kommunistische Land besitzt zwei getestete Interkontinentalraketen. Die Hwasong-14 wurde 2017 zweimal getestet und kann mit einer Reichweite von 10.000 Kilometern fast ganz Westeuropa und etwa die Hälfte des US-Festlandes mit einem Nuklearsprengkopf erreichen. Die größere Hwasong-15 wurde ebenfalls 2017 gestartet, sie hat eine Reichweite von 13.000 Kilometern. Ihr Nuklearsprengkopf könnte jedes Ziel auf dem US-Festland erreichen.
(Foto: AFP)
China: <b></b>410 atomare Sprengköpfe in Reserve. Chinese mobile launcher DF-41 – Dongfeng 41 oder DF-41 /Nato-Codename: CSS-20) ist die Bezeichnung einer landgestützten ballistischen Interkontinentalrakete der Volksrepublik China. Die Rakete wurde bei der Militärparade zum chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober 2019 der Öffentlichkeit vorgestellt.
(Foto: Wikipedia commons/Mike1979 Russi/CC BY-SA 4.0)