Ein abgelehnter Bürgermeister

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1250 Jahre Lienzingen: Anekdoten aus dem 19. Jahrhundert machen Lust auf die Dorfgeschichte

Mühlacker-Lienzingen. Wer auf einer fremden Wiese sein Viehfutter mäht, muss einen Gulden Strafe zahlen. Dies hat das Ortsgericht entschieden und für dieses heute eigenartig erscheinende Vergehen am 23. Oktober 1809 zwei Lienzinger Frauen zur Geldbuße verurteilt. Davon, und wie sich das dörfliche Leben zur damaligen Zeit gestaltete, hat Professor Dr.Konrad Dussel im Rahmen der Veranstaltungsreihe zur 1250-Jahrfeier am Freitag im evangelischen Gemeindehaus erzählt. „Reisen in ein fremdes Land – Lienzingen im 19. Jahrhundert“, war der Vortrag des Hauptautors der im Sommer erscheinenden Ortschronik überschrieben. Auf den ersten Blick erscheint das 19.Jahrhundert gar nicht so fern. Je intensiver man sich jedoch damit beschäftigt, desto fremder und exotischer erscheint selbst den Einheimischen der eigene Ort.

Ein abgelehnter Bürgermeister

Professor Dr. Konrdas Dussel (li.) und Günter Bächle schreiben an der Ortschronik mit. Foto: Appich

„Exotisches kann auf zweierlei Weise erlebt werden“, sagte Dussel. Man könne ein fremdes Land bereisen oder aber sich in der Historie rückwärts bewegen. Als „eine Gemeinde dritter Klasse mit 902 Einwohnern, darunter ein Katholik“, beschrieb das Oberamt Maulbronn in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts das Dorf Lienzingen und nannte als Haupterwerbsquellen der Einwohner die „gut und umsichtig“ betriebene Landwirtschaft und den Weinbau. „Jeder hatte seine Kuh im Stall“, sagte Dussel. Doch von Bilderbuchromantik konnte keine Rede sein. Die Lebens- und Arbeitsverhältnisse waren bescheiden und beschwerlich. So vermeldeten die Kirchenbücher zwischen 1844 und 1846 zwar 106 Geburten im Dorf, jedoch sollten 37 dieser Kinder ihren ersten Geburtstag nicht erleben. In der Schule wurden an die 150 Kinder von nur einem Lehrer und einem Helfer unterrichtet und über das erste Schulhaus am Übergang zur Kirchenburg hieß es schon Ende des 18. Jahrhunderts, es könne nicht ohne Lebensgefahr betreten werden. Dennoch sollten bis zu einem Neubau noch gut 40 Jahre ins Land gehen. In die von Dussel beleuchtete Zeit fiel die 48er Revolution, die vor allem für das benachbarte Baden von Bedeutung war und Anlass gab zur Aufstellung von Bürgerwehren. Im nur drei Stunden Fußmarsch von der Grenze entfernten Lienzingen kam es aber nicht zur Bildung einer bewaffneten Einheit, da sich die Einwohner keine Flinten leisten konnten und das Ansinnen der Gemeinde auf 50 bis 60 Gewehre aus dem Militärarsenal Ludwigsburg abgelehnt wurde. Die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts war auch die Zeit der Auswanderungen aus Gründen wirtschaftlicher Not, der Bildung von Vereinigungen und der Verbesserung von Informations- und Kommunikationsmitteln.

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