Der Zuschauer wird zum Richter
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Schirachs „Terror“ in Remchingen
Remchingen. Es ist eine Stimmung, als ob es um Leben oder Tod ginge. Geht es auch, aber nur im Theaterstück „Terror“ von Ferdinand von Schirach. Doch es macht sich auch in der Kulturhalle Remchingen eine ernsthafte, grüblerische Atmosphäre breit in einer vor Spannung knisternden Luft des konzentrierten Zuhörens – vielleicht liegt es daran, dass der Vorsitzende Richter (Johannes Brandrup) dem fast 600-köpfigen Publikum eingeschärft hat, dass es auf jeden einzelnen Anwesenden ankommt. „Sie sind die Schöffen“, heißt es zu Beginn, „überlegen Sie gut und vergessen Sie alles, was Sie zuvor darüber gehört haben.“ Doch am Ende des Abends, an dem die Gäste über den Piloten zu Gericht gesessen sind, stimmen die Besucher-Schöffen wie die Mehrheit der Fernsehzuschauer am vergangenen Montag mit „unschuldig“. Freispruch für den Piloten, der sich entschieden hat, 164 Passagiere an Bord eines von einem Terroristen entführten Flugzeugs zu opfern, um 70000 Stadion-Besucher zu retten, auf die der Terrorist zusteuern lässt.
Der angeklagte Pilot schießt das Flugzeug ab, obwohl er als Major der Bundeswehr den Befehl erhalten hat, genau das nicht zu tun. Doch es fällt den „Schöffen“ sichtlich schwer, durch eines der beiden an den Eingängen postierte Tor mit den Aufschriften „schuldig“ und „unschuldig“ zu gehen, die Menge weicht zusehends zurück und traut sich erst, als der Befehl von oben zum Betreten des Saals in akustischer Gestalt eines Gongs ertönt. 125 plädieren auf schuldig, 375 Besucher auf „nicht schuldig“. Und sicher keinem fällt es leicht, sich als Richter über einen anderen Menschen zu erheben. Es ist wohl, wie die Staatsanwältin (Annett Kruschke) in ihrem Plädoyer sagt: Wenn man etwa weiß, dass ein Zugunglück (eventuell) durch das Opfern eines einzelnen menschlichen Bremsklotzes auf den Schienen verhindert werden könnte, den man aber zuvor eigenhändig umbringen müsste, da ist meist Schluss mit der Courage. Hätte der Pilot die tödliche Waffe auf das gekaperte Flugzeug abgeschossen, wenn die eigene Frau und der eigene Sohn an Bord gewesen wären? Der Angeklagte Lars Koch (Christian Meyer) stottert und schweigt. Sagt nur so viel wie: „Ich dachte, ich tue das Richtige.“
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