Rückenwind für die Linken
Politik
Zum ersten Mal hat die Linke eine Chance, in den Landtag von Baden-Württemberg einzuziehen. Viele neue Mitglieder erfreuen die Partei, alte Probleme belasten sie.

Amelie Vollmer (links) und Ellena Schumacher Koelsch kandidieren im Landtagswahlkampf 2026 für eine Linke-Doppelspitze.
(Foto: die Linke)
Von Christian Gottschalk
Wenn am nächsten Sonntag Landtagswahl wäre, könnten die Linken mit einem Ergebnis von um die sieben Prozent rechnen. Das sagt zumindest die letzte Umfrage dieser Zeitung. Die Landtagswahl ist aber nicht am nächsten Sonntag, sondern am 8. März. Ein halbes Jahr ist in der Politik eine halbe Ewigkeit. Das weiß auch Ellena Schumacher Koelsch. „Ich weiß, wie die Politik läuft, da kann sich vieles sehr schnell drehen“, sagt die Frau, die als eine von zwei Spitzenkandidatinnen der Partei ins Rennen gehen will. „Wir planen mit zehn Prozent“, sagt Amelie Vollmer, die zweite Co-Spitzenfrau auf der Landesliste. Ganz sicher ist das mit dem Spitzenduo noch nicht, entscheiden wird ein Listenparteitag am ersten Samstag nach dem Ende der Sommerferien. Ganz sicher ist das natürlich auch mit dem Einzug in den Landtag nicht. Aber der Optimismus bei der Partei ist gewaltig.
Explosion bei Mitgliedern und Interesse
Es ist nicht nur das für viele überraschend gute Abschneiden der Linken bei der Bundestagswahl, das diesem Optimismus Nahrung gibt. 8,8 Prozent der Zweitstimmen gab es im März. Ein Trend, der sich bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr noch nicht abgezeichnet hatte. Da kam die Linke auf gerade einmal 1,1 Prozent, musste in den insgesamt 929 Gemeinderäten im Land sogar 19 Sitze abgeben. Doch irgendwann zwischen den Wahlen zu Gemeinderäten und dem Bundestag kam die Explosion. Bei der Stimmung und bei den Mitgliedern. Jahrelang hatte die Linke im Land um die 3500 eingeschriebene Genossen in ihren Reihen. Jetzt sieht es so aus, als ob noch in diesem Jahr die Marke von 10 000 fallen könnte. 9859 waren es zu Beginn der Sommerferien. Das Wachstum ist so schnell, dass es selbst auf der eigenen Webseite nicht korrigiert werden kann.
Amelie Vollmer glaubt, den Grund dafür zu kennen. Der Rechtsruck im Land. Die CDU sei auf AfD-Linie und bei einer Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl habe sich selbst der SPD-Kandidat damit gebrüstet, wie viele Menschen von der Regierung abgeschoben worden seien, sagt die 22-Jährige. Wer soll da eine echte, linke Alternative sein, fragt sie – eine rhetorische Frage. Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren war sie die jüngste Kandidatin, hat es so zu einer gewissen Medienprominenz gebracht, aber eben nicht in den Landtag geschafft. Nun hofft sie, dass mehr über linke Themen gesprochen wird, über zu hohe Mieten, zu viel Aufrüstung, zu wenig öffentlichen Nahverkehr. Und natürlich hofft sie, dass es klappt, mit dem Mandat.
Beim Thema BSW wird es emotional
In der Ortenau, dem politischen Zuhause von Amelie Vollmer, hat sich die Mitgliederzahl seit Ende des vergangenen Jahres fast verdreifacht. Es sind überwiegend junge Menschen, die dort, ganz im Westen des Landes, ihrem Engagement und ihrer Haltung damit Ausdruck verleihen. Ganz im Osten ist es nicht viel anders. Im Ostalbkreis, wo bei der letzten Bundestagswahl die AfD sehr klar hinter der CDU auf Platz zwei lag, haben die Linken ihre Mitgliederzahl in etwa verdoppelt. Ellena Schumacher Koelsch, selbst im benachbarten Schwäbisch Hall zu Hause, besucht den dortigen Kreisverband, um sich die Sorgen und Nöte der Genossen anzuhören. Die haben viel mit der Vergangenheit zu tun.
Die Möbel im Parteibüro hat einst ein Mitstreiter eingebracht, der inzwischen zum BSW gewechselt ist. Jetzt geht die Diskussion darum, wie man damit verfahren soll. Behalten? Rauswerfen? Tolerieren? Die Diskussion wird schnell hitzig. Das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) ist für viele Linke ein rotes Tuch. Wie viele Mitglieder der Linken adieu gesagt haben, um sich dem BSW anzuschließen, das weiß niemand so ganz genau. Es waren einige. Und unter denen waren wiederum einige, die nicht nur auf dem Papier Parteimitglied waren, sondern auch engagierte Kämpfer für die politische Sache. Schwerer als die Möbel-Frage auf der Ostalb wiegt denn auch der Abgang des ein oder anderen Social-Media-Beauftragten. Dabei ist manch ein Passwort für Social-Media-Kanäle abhanden gekommen. Die sind heutzutage ein unverzichtbarer Bestandteil, um Botschaften zu verbreiten und die eigenen Anhänger bei Laune zu halten.
Hoffnung auf Politikwechsel
„Wir müssen als Partei noch sichtbarer werden“, sagt Ellena Schumacher-Kölsch, in den sozialen Medien und im echten Leben. Das gilt insbesondere für die Wahlkreise, in denen die Partei noch nicht perfekt aufgestellt ist. 33 Kreisverbände zählt die Linke derzeit im Land, bei den Wahlen wird es 70 Wahlkreise geben. In Nordwürttemberg, im Main-Tauber-Gebiet, da gibt es noch weiße Flecken. Und nicht jede Ortsgruppe hat ein zu Hause. In Heidenheim gibt es zwar Mitglieder, aber die haben noch keine Parteizentrale gefunden.
Die Hoffnung, dass mit dem Einzug in den Landtag ein weiterer Schub an Aufmerksamkeit und Mitgliedern kommen könnte, ist groß bei den Linken – im Osten und im Westen des Landes. Und die Hoffnung auf einen Politikwechsel. Ministerpräsident Winfried Kretschmann wolle das Land „zu einem Motor der Kriegswirtschaft“ machen, sagt Amelie Vollmer auf einer Veranstaltung zum Antikriegstag in Offenburg. Das sei ein „Angriff auf unsere Zukunft“. Ein junger Mann kommt zu dem Info-Stand, um sich die Flyer anzusehen. Er habe gehört, dass die Wehrpflicht wieder eingeführt werden solle, zum Bund wolle er aber nicht, sagt er.