Metall-Arbeitgeber: „Die Sozialbeiträge müssen runter“
Politik
Der Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall, Oliver Zander, warnt vor einer Deindustrialisierung – und fordert Einsparungen in den Sozialversicherungen.

Sind die Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland zu hoch?
(Foto: IMAGO/Steinach)
Von Tobias Peter
Bremsen die steigenden Sozialbeiträge das deutsche Wachstum zu stark? Ja, sagt Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall. Er schlägt unter anderem vor, das Arbeitslosengeld I auf zwölf Monate zu begrenzen.
Herr Zander, was würde es für die deutsche Wirtschaft bedeuten, wenn es nicht gelingen sollte, den Anstieg der Sozialbeiträge in den kommenden Jahren mindestens zu begrenzen?
Die deutsche Wirtschaft befindet sich in der längsten Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik. Das liegt am Kostenproblem des Standorts bei Steuern, Energie und Sozialabgaben. Wenn die Sozialabgaben weiter ansteigen, wird die Investitionsschwäche anhalten und die Arbeitslosigkeit wird weiter zunehmen. Das Wort für das, was dann verschärft passiert, ist Deindustrialisierung.
Der Kanzler sagt, wir könnten uns den Sozialstaat so, wie er ist, nicht mehr leisten. Arbeitsministerin Bärbel Bas hat das „Bullshit“ genannt. Trauen Sie Schwarz-Rot eine große, gemeinsame Sozialreform zu?
Der deutschen Wirtschaft droht eine Spirale nach unten. Wenn nichts verändert wird, werden die Beiträge insgesamt im schlimmsten Fall bis 2035 von jetzt 41,9 Prozent, bei Kinderlosen schon jetzt 42,5 Prozent, auf dann bis zu 53 Prozent steigen. Dann wären wir nicht einmal mehr ansatzweise international wettbewerbsfähig. Wenn die Wirtschaft komplett in die Knie geht, haben wir auch keinen Sozialstaat mehr. In dieser Situation erwarten wir, dass Union und SPD eine grundlegende Sozialreform hinbekommen. Beide wollen mehr Menschen in Arbeit. Beide wollen, dass die Sozialversicherung effizienter wird. Beide wollen eine Organisationsreform der Sozialversicherung mit heute über 350 000 Beschäftigten. Da muss sich etwas bewegen.
Wie viel muss in den Sozialversicherungen gespart werden?
Ein Beitragspunkt in den Sozialversicherungen macht über 13 Milliarden Euro aus. Das bedeutet, wenn wir bei den Beiträgen wieder klar unter 40 Prozent kommen wollen, müssen dort 40 Milliarden Euro eingespart werden. Das ist mit einem guten Plan absolut machbar.
Müssen die Menschen Leistungskürzungen fürchten?
Es wäre ein Start, die Leistungen nicht immer weiter auszuweiten. Fünf Milliarden Euro zusätzlich im Jahr für die Mütterrente müssen nicht sein. Und man muss jeden Stein umdrehen. Wie jedes Unternehmen es in einer Krise auch tut. Dann findet man auch Ausgaben, die gekürzt werden können, ohne dass bei der Krankenversicherung zum Beispiel die Patienten darunter zu leiden hätten.
Nennen Sie mal ein Beispiel.
In Deutschland haben wir überproportional viele Operationen: insbesondere Knie, Rücken und Hüfte. Die Kapazitäten sind da – also werden diese Eingriffe auch gemacht. Aber wer glaubt denn, dass die Deutschen in dieser Hinsicht so viel behandlungsbedürftiger sind als andere? Oder nehmen Sie mal diesen Umstand: Der Reinertrag einer radiologischen Arztpraxis beträgt laut Statistischem Bundesamt im arithmetischen Mittel 1,18 Mio. Euro. Da dürften fast alle im Land außer den Radiologen mit Recht der Meinung sein, dass es auch eine geringere Vergütung sein könnte.
An welchen Stellen wollen Sie auch den Menschen selbst etwas zumuten?
Es wäre zum Beispiel richtig, den Anspruch auf Arbeitslosengeld I auf zwölf Monate zu begrenzen. Für Ältere beträgt er 18 Monate, teilweise sogar 24 Monate. Hier hatte man im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebung schon einmal den Anspruch begrenzt – und hat ihn später wieder ausgeweitet. Das war ein Fehler.
Viele fanden es damals ungerecht, wenn Menschen nach einem Jahr aus dem Arbeitslosengeld I herausfallen, obwohl sie über eine sehr lange Zeit Beiträge gezahlt hatten.
Die Arbeitslosenversicherung ist kein Sparbuch, sondern eine Risikoversicherung. Die Statistiken zeigen uns: Unabhängig von der Konjunktur und der Arbeitsmarktsituation schöpfen die Betroffenen hier in hoher Zahl den vollen Anspruch aus. Bei denen, die zwölf Monate Anspruch hätten, schaffen es, je nach Konjunktur, viele schneller in Arbeit. Das wäre auch für die älteren Arbeitslosen selbst wichtig, damit sie den Anschluss nicht verlieren.
Braucht es nicht auch einen Kulturwandel in den Unternehmen, damit ältere Arbeitnehme=r wirklich bis zum regulären Renteneintrittsalter beschäftigt werden – oder, falls sie arbeitslos geworden sind, auch eine neue Chance erhalten?
Die Lage in den Betrieben ist da sehr unterschiedlich. Es gibt viele Menschen, die bis zum Renteneintrittsalter arbeiten oder sogar darüber hinaus.
Ist die Rente ab 70 notwendig?
Ich bin dagegen, mit plakativen Zahlen zu operieren. Wenn die Lebenserwartung steigt, wird ein Teil dieser Zeit auch in die Erwerbsarbeit gehen müssen. Notwendig sind gute Lösungen für die Menschen, die nicht mehr arbeiten können. Schluss sein muss vor allem mit politischen Widersprüchlichkeiten: Erst machen wir eine Rente mit 63 – und ermöglichen es damit Menschen, früher in den Ruhestand zu gehen, obwohl es volkswirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Und dann führen wir die Aktivrente ein, damit sie wieder arbeiten. Das ist doch abstrus. Die Rente ab 63 gehört abgeschafft.
Aus Ihrer Sicht müssten Einsparungen in den Sozialversicherungen also durch eine Vielzahl von Maßnahmen zusammenkommen.
Ja. Das ist mühsam, aber es geht. Wenn Union und SPD sich nicht auf ein Paket von Sparmaßnahmen einigen können, müssen sie notfalls alle Ausgaben der Sozialversicherungen mit dem Rasenmäher um fünf Prozent kürzen. Die Sozialbeiträge müssen runter. Nur so kann es neues Wachstum geben. Und nur so können wir den Sozialstaat dauerhaft für die Menschen retten. Darum geht es.
Sozialkürzungen sind ein sehr schwieriges Thema für die SPD. Was macht sie zuversichtlich, dass dieser Teil der Koalition mitzieht?
Wenn medizinische Leistungen zukünftig etwas niedriger vergütet werden, dann trifft das nicht die Bedürftigen. Auch wenn langjährige Bezieher von früher Grundsicherung und heute Bürgergeld angehalten werden sollten, gemeinnützige Arbeit zu leisten, dann fänden das nach meiner festen Überzeugung sehr viele Arbeiter und damit die eigentlich klassische SPD-Wählerklientel gut. Der Arbeiter im Ruhrgebiet, der sogenannten Herzkammer der SPD, ist dafür, dass diejenigen, die arbeiten können, arbeiten. Die Kernfrage lautet doch: Wer braucht eine Sozialleistung und wer braucht sie nicht? Wenn die SPD klug ist, stellt sie sich endlich an die Spitze der Bewegung. Ohne eine stabile Wirtschaft gibt es keine stabile Regierung.