Ist der Sozialstaat unbezahlbar geworden? Ein Faktencheck

Politik

Kann sich Deutschland seinen Sozialstaat noch leisten? In absoluten Zahlen sind die Ausgaben stark gestiegen. Doch der Blick auf die Wirtschaftskraft verändert das Bild.

Ist der Sozialstaat unbezahlbar geworden? Lebt Deutschland über seine Verhältnisse, wie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) jüngst erklärte?

Ist der Sozialstaat unbezahlbar geworden? Lebt Deutschland über seine Verhältnisse, wie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) jüngst erklärte?

(Foto: epd)

Von Markus Brauer/dpa

Gemessen an der deutschen Wirtschaftskraft liegen die Sozialausgaben des Bundes nach offiziellen Angaben heute nicht höher als vor zehn Jahren.

Laut Statistischem Bundesamt brachte der Bund 2024 einen Anteil von 5,53 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für soziale Sicherung auf – im Vergleich zu 5,64 Prozent im Jahr 2015. Im Jahr 2000 waren es 5,63 Prozent. In Krisenjahren dazwischen gab es einige Ausreißer nach oben.

Die Zahlen hat der Linken-Abgeordnete Dietmar Bartsch beim Statistischen Bundesamt abgefragt. Hintergrund ist die Debatte in der schwarz-roten Koalition über die Finanzierbarkeit des Sozialstaats. Bartsch sieht sie sehr kritisch und warnt vor Kürzungen.

1,3 Billionen in 2024 für Soziales

  • 2021 wurden nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales insgesamt 1.161,5 Milliarden Euro für soziale Leistungen in Deutschland ausgegeben.
  • Gegenüber dem Vorjahr bedeutet dies einen Anstieg um 3,4 Prozent, während das nominale Wirtschaftswachstum mit einem Plus von 6,0 Prozent höher ausfiel. Das Verhältnis von Sozialleistungen zum Bruttoinlandsprodukt – die Sozialleistungsquote – fällt deshalb mit 32,5 Prozent um 0,9 Prozentpunkte geringer aus als im Vorjahr.
  • 2024 betrugen die gesamten Sozialausgaben rund 1.345.400.000.000 oder mehr als 1,3 Billionen Euro. Das sind mehr als 30 Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt/BIP).
  • Die drei größten Posten sind die Rentenversicherung mit einem Umfang von 391,4 Miliarden Euro, die Krankenversicherung mit 341,7 Milliarden Euro sowie die Ausgaben für die Systeme des Öffentlichen Dienstes mit 100,9 Milliarden Euro.

BIP seit dem Jahr 2000 verdoppelt

  • Die offizielle Statistik von Destatis zeigt zudem zeigt, dass die staatlichen Ausgaben für soziale Sicherung zwar in absoluten Zahlen stark zugelegt haben, aber eben auch das Bruttoinlandsprodukt. Das BIP wuchs von 2,13 Billionen Euro im Jahr 2000 auf 4,33 Billionen Euro im vergangenen Jahr.
  • Wie bei der sozialen Sicherung liegen auch die staatlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen nach dieser Messgröße in etwa auf dem Niveau des Jahres 2000: Damals war der Anteil für diesen Posten 0,21 Prozent des BIP, 2024 waren es 0,20 Prozent. Allerdings lagen die Werte 2010 (0,19 Prozent) und 2015 (0,19 Prozent) zeitweise niedriger.
  • Kontinuierlich gestiegen ist laut dieser Statistik der Anteil am BIP, den der Staat für Bildung ausgibt: von 0,25 Prozent im Jahr 2000 auf 0,52 Prozent 2024.

Vielfältiges Sozialsystem

Zu beachten ist in der Debatte, dass mit „Sozialstaat“ häufig nicht nur die vom Staat mit Steuermitteln bezahlten Leistungen wie etwa das Bürgergeld gemeint sind. Es geht meist auch um die Sozialversicherungen für Rente, Gesundheit oder Pflege.

Diese bekommen zwar teils staatliche Zuschüsse, finanzieren sich aber zum Großteil aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Rechnet man öffentliche, vom Staat vorgeschriebene und freiwillige Ausgaben für Soziales zusammen, erreicht die Summe gut 30 Prozent des BIP, wie die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung 2024 vorgerechnet hat.