Die letzte Fahrt der MS Völkerfreundschaft
Panorama
Das älteste Kreuzfahrtschiff der Welt kommt in den Hochofen. Der Luxusliner schipperte einst unter der DDR-Flagge über die Weltmeere –

Die MS Völkerfreundschaft fuhr Jahre später unter neuem Namen wieder zur See.
(Foto: dpa-tmn)
Von Eberhard Wein
Rund 35 Jahre nach dem Untergang der DDR wird auch ihr einstiges Traumschiff abgetakelt. Die MS Völkerfreundschaft, der kurioseste Auswuchs der systemstabilisierenden Urlaubspolitik des Arbeiter- und Bauernstaats, kommt in die Verschrottungsanlage. Ein belgisches Recyclingunternehmen ersteigerte das 160-Meter-Schiff für 200 000 Dollar. Man war der einzige Bieter.
Als die DDR das Schiff 1960 als erstes von später drei Urlaubslinern von einer schwedischen Reederei kaufte, musste sie noch 20 Millionen Kronen hinblättern. Dabei handelte es sich um ein Unfallfahrzeug. 1956 hatte der Dampfer noch unter dem Namen „Stockholm“ vor der US-Ostküste das italienische Kreuzfahrtschiff „Andrea Doria“ gerammt. 51 Menschen starben.
In der DDR sollte die „Völkerfreundschaft“ ein Schiff für die Arbeiterklasse sein, mit Luxus fast wie im Westen. Es gab Außen- und Innenschwimmbad, Frisier- und Rauchsalon, Tanzfläche, Kinosaal und Volleyballfeld auf dem Oberdeck; der Ball war mit einer Angelsehne gesichert. Die rund 550 Gäste tafelten Südfrüchte, Wild und Pastete. Das kostete: 800 Mark waren für eine zweiwöchige Ostseereise fällig, 3000 Mark für den Kubatrip – viel Geld für einfache „Helden der Arbeit“, die mit der Reise belohnt werden sollten.
Republikflucht über die Reling
So verkam das Schiff zur „Bonzenschaukel“, auch weil für den Geschmack der SED-Genossen wohl zu viele DDR-Bürger die Reise für die Republikflucht nutzten. Insgesamt 225 Menschen soll es gelungen sein. 1964 schwamm ein Flüchtling im Mittelmeer sechs Stunden ans rettende Ufer. Kürzer war es vor der Insel Fehmarn, wo Boote des westdeutschen Grenzschutzes die DDR-Traumschiffflotte eskortierten. Die Beamten forderten die Passagiere mit Schwimmbewegungen aktiv zum Sprung über die Reling auf.
1985 wurde die „Völkerfreundschaft“ außer Dienst gestellt und verkauft, ankerte in Oslo als Asylunterkunft und ging in den 1990er Jahren unter neuem Namen erneut auf Weltreise – unter anderem für Neckermann. Mit Corona kam das Aus. Jetzt hat das älteste Kreuzfahrtschiff der Welt nach 77 Jahren seine letzte Reise angetreten. Seit kurzem steht es in einer Abwrackwerft in Gent.