„Ich will authentische politische Filme“
Kultur
Drehbuchautor Fred Breinerdorfer über das TV-Drama „An einem Tag im September“, in dem es um das Ende der deutsch-französischen „Erbfeindschaft“ geht.

Deutsch-französisch ist auch die Besetzung des Films: Jean-Yves Berteloot spielt den französischen Präsidenten Charles de Gaulle (l.), Burghart Klaußner den deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer.
(Foto: ZDF/Frank Dicks)
Von Tilmann P. Gangloff
Fred Breinersdorfer hat mit seinem Drehbuch zu dem ZDF-Drama „An einem Tag im September“ den Besuch Konrad Adenauers im lothringischen Landhaus von Charles de Gaulle rekonstruiert. Das Treffen im Herbst 1958 war der Anfang vom Ende der 250 Jahre währenden „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich, aber die Themen sind erstaunlich aktuell
Herr Breinersdorfer, normalerweise werden historische Dramen wie „An einem Tag im September“ über die Begegnung von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle im Herbst 1958 anlässlich von Jahrestagen produziert. Warum war es wichtig, diesen Film gerade jetzt zu machen?
Ich will authentische politische Filme schreiben und nicht Jubiläen feiern. Die Themen, die bei dem Treffen angerissen wurden, hängen seit dem russischen Überfall auf die Ukraine in der Luft. Als ich im Oktober 2019 mit dem Projekt begonnen habe, war es jedoch nicht mein Ziel, so viele aktuelle Bezüge wie möglich einzubauen, zumal man damit auch gewaltig daneben liegen kann.
Trotzdem gibt es diese Bezüge: die Verstimmung zwischen Deutschland und Frankreich, die Diskussion über einen atomaren Schutzschirm für Europa, das zwiespältige Verhältnis zu den USA.
Stimmt. Ich habe im Bundesarchiv ein achtseitiges Ereignisprotokoll des Treffens gefunden. Das ist ein diplomatisches Dokument und enthält keine Dialoge, aber alle politischen Aspekte, die auch im Drehbuch Thema sind. Im Zentrum des Gesprächs stand die Frage, wie sich Europa in Zukunft militärisch und wirtschaftlich aufstellt, einschließlich einer möglichen Atombewaffnung und einer gemeinsamen Armee.
Hätten Sie geglaubt, dass diese Themen zur Ausstrahlung des Films eine derartige Aktualität bekommen würden?
Nein, das konnte ich nicht ahnen. Aber damals war ich wegen dieses historischen Beispiels noch überzeugt, dass sich auch verhärtete Konflikte beseitigen lassen, wenn man sich zusammen an einen Tisch setzt, um wie Adenauer und de Gaulle sogar einen Jahrhunderte alten Konflikt mit Millionen Toten zu beenden. Das hat mich fasziniert. Heute würde so etwas nur funktionieren, wenn die betroffenen Völker – so wie damals Deutschland und Frankreich – von Hass und Krieg völlig erschöpft sind. Das sehe ich leider weder in der Ukraine noch in Gaza oder in den anderen Kriegen auf der Welt.
Wenn es Ihnen nicht um aktuelle Bezüge ging: Was war Ihr Motiv, diesen Drehbuchauftrag anzunehmen?
Ich wollte die historischen Konflikte und die Wurzeln der heutigen deutsch-französischen Freundschaft filmisch spannend und emotional freilegen. Aber es gab auch einen sehr persönlichen Grund. In meiner Familie gab es früher eine ausgeprägte Aversion gegen alles Französische, obwohl mein Großvater, der Quell dieses regelrechten Hasses, Frankreich gar nicht kannte. Als ich begonnen habe, ein politisches Bewusstsein zu entwickeln, hat mich das sehr abgestoßen. Die Recherche für das Drehbuch war daher auch eine Reise in meine eigene Vergangenheit. Ich bin als 17-Jähriger nach Südfrankreich geradelt und habe im Mai 1968 als Student in Paris an den Straßenschlachten im Quartier Latin teilgenommen, als die Sorbonne und andere Universitäten geschlossen wurden. Heute lebe ich viele Monate im Jahr in Frankreich.
Sie erwähnten das Ereignisprotokoll. Wird darin auch die besondere Rolle erwähnt, die Yvonne de Gaulle in einer Schlüsselszene Ihres Drehbuch einnimmt?
Diese Szene habe ich aus dramaturgischen Gründen eingebaut, weil das Protokoll einen blinden Fleck hat. In dem Dokument gibt es einen merkwürdigen Bruch, nachdem die beiden alten Herren heftig aneinandergeraten sind. Laut Protokoll ging es aber plötzlich ganz freundlich weiter. In einem Film wäre es völlig unplausibel, diese Wendung nicht szenisch zu erklären, das Publikum muss ja ein emotionales Verständnis für diese Entwicklung haben.
Also bittet die Gattin ihren Mann und seinen Gast zum Tee und erzählt von ihrer verstorbenen Tochter, daraufhin berichtet auch der Kanzler von einer „schweren Prüfung“. Was daran ist wahr, was ist erfunden?
Das Teegespräch ist meine Idee, aber der Gesprächsgegenstand ist authentisch. Die verstorbene Tochter der de Gaulles hatte das Down-Syndrom. Der General hat das Kind sehr geliebt. Das Paar hat sich trotz der damaligen Ächtung von Behinderten in der Bourgeoisie geweigert, das Mädchen in ein Heim zu geben. Adenauers Frau ist an den Spätfolgen eines Suizidversuchs gestorben. Adenauer wurde von der Gestapo gesucht und hatte sich im Kloster versteckt. Seine Frau musste im Gestapo-Verhör das Versteck preisgeben, um die Kinder vor dem KZ zu retten, und hat dann aus Verzweiflung versucht, sich das Leben zu nehmen. Abgesehen von diesen beiden Schicksalsschlägen gab es noch eine Verbindung: Beide Männer waren tief im katholischen Glauben verwurzelt. Das war die Basis für ihre Freundschaft, die sich später entwickelte.
Darstellerisch ist diese Szene die stärkste des Films: Burghart Klaußner vermittelt die intensive Emotionalität des Moments äußerlich unbewegt und nur mit seiner Ausstrahlung. Er hat allerdings keinerlei Ähnlichkeit mit Adenauer.
Es war klar, dass wir keinen Schauspieler auf dem geforderten Niveau finden würden, der auch noch als Adenauer-Double durchgehen könnte. Burghart ist ein guter Freund von mir. Als ich den Auftrag für das Drehbuch übernommen habe, war mir sofort klar, dass er mit seiner Kraft und darstellerischen Breite für die Rolle ideal wäre. Also habe ich ihn umgehend angerufen und gefragt, ob er die Rolle übernehmen will. Er hat spontan zugesagt. Burghart hat lange in Frankreich gelebt, spricht die Sprache fließend und konnte sich daher für die französische Arte-Fassung selbst synchronisieren.
Wird das Treffen der beiden Staatsmänner aus heutiger Sicht unterschätzt?
Ja, in der Tat. Die Wahrnehmung des Beginns neuer Beziehungen zwischen unseren Staaten konzentriert sich vor allem auf die Unterzeichnung des Élysée-Vertrags 1963, das gemeinsame Abkommen zur deutsch-französischen Freundschaft. In Vergessenheit geraten ist auch de Gaulles auf Deutsch und mit großer Empathie vorgetragene Rede an die deutsche Jugend 1962 im Ludwigsburger Schlosshof. Es gibt ein YouTube-Video von der Ansprache. Wenn man sich das anschaut, wünscht man sich, dass heutige Politiker mit ähnlichem Engagement über Frieden oder die Bekämpfung des Klimawandels sprechen würden.
Fred Breinersdorfer: Anwalt und Autor
Verfilmungen Fred Breinersdorfer, 1946 in Mannheim geboren, hat viele Jahre in Stuttgart als Anwalt praktiziert, ehe er sich aufs Schreiben von Romanen und Drehbüchern konzentrierte; heute lebt er in Berlin. Seine bekannteste Figur ist der in zwanzig ZDF-Verfilmungen von Günther Maria Halmer verkörpert Anwalt Abel. Die nach Breinersdorfers Drehbüchern entstandenen Filme, unter anderem „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ (2005) und „Elser – Er hätte die Welt verändert“ (2015), sind vielfach ausgezeichnet worden.
Geschichte Das gilt auch für seine jüngste Arbeit, „An einem Tag im September“: Hélène Alexandridis wurde im Juni beim Festival de Télévision de Monte-Carlo 2025 für ihre Rolle als Yvonne de Gaulle mit einer „Goldenen Nymphe“ als beste Schauspielerin geehrt, das Drama bekam den Preis als bester Film in der Kategorie „Fiction“. „An einem Tag im September“ steht seit diesem Freitag, 5. September, in der ZDF-Mediathek. Arte zeigt den Film am 12. September um 20.15 Uhr, das „Zweite“ (mit anschließender Doku) am 15. September.