Putin und Xi träumen von der Unsterblichkeit

Panorama

Neue Organe und Verjüngungstherapien: Wladimir Putin und Xi Jinping träumen von einem längeren Leben und Unsterblichkeit. Doch Wissenschaftler sehen eine klare Grenze.

Irgendwann holt Gevatter Tod jeden – selbst so Mächtige wie Wladimir Putin und Xi Jinping (Sensenmann auf dem Kölner Melatenfriedhof).

Irgendwann holt Gevatter Tod jeden – selbst so Mächtige wie Wladimir Putin und Xi Jinping (Sensenmann auf dem Kölner Melatenfriedhof).

(Foto: Imago/Panama Pictures)

Von Markus Brauer/KNA

In der mittelalterlichen Artus-Sage ist der Heilige Gral ein Gefäß, ausgestattet mit wundertätigen Kräften, das in der unzugänglichen Gralsburg bewacht wird. Wer aus ihm trinkt, so berichtet die Legende, lebt in ewiger Jugend und Glückseligkeit.

Wladimir Putin und Xi Jinping dürften es zutiefst bedauern, dass es sich bei der Grals-Geschichte nur um einen Mythos handelt. Selbst wenn der Großmeister des Musikdramas, Richard Wagner, ihn in unsterbliche Verse und berauschend schöne Töne bannte.  

150 Jahre Putin und Xi?

Wie lange können die beiden 72-jährigen Präsidenten noch hoffen an der Macht zu bleiben und auf der Erde zu wandeln? Wie lange wird Xi Jinping das Reich der Mitte und Wladimir Putin Russland beherrschen? Offenbar hegen beide die Vision von einem sehr langen Leben.

Ein offenes Mikrofon übertrug kürzlich während der bombastischen Militärparade in Peking versehentlich ein privates Gespräch zwischen den Staatschefs Russlands und Chinas, bei dem es darum ging, wie man auch Alter und Tod besiegen kann.

„Menschliche Organe können kontinuierlich transplantiert werden. Je länger man lebt, desto jünger wird man und kann sogar Unsterblichkeit erlangen“, übersetzte Putins Dolmetscher die Aussage seines Chefs. Und Xi Jingpin wird mit dem Satz zitiert: „Einige sagen voraus, dass Menschen in diesem Jahrhundert bis zu 150 Jahre alt werden können.“

Später von Journalisten auf dieses unfreiwillig übertragene Gespräch angesprochen, ergänzte Putin: „Die modernen Mittel der Gesundheitsförderung, die Medizin, sogar einige Operationen mit Organtransplantationen geben der Menschheit Hoffnung, dass die aktive Lebensspanne nicht mehr so sein wird wie heute.“

„Dein Wunsch war des Gedankens Vater“

In seinem Drama „König Heinrich IV.“ lässt William Shakespeare den englischen Herrscher sagen: „Thy wish was father, Harry, to that thought“ („Dein Wunsch war des Gedankens Vater, Heinrich“ – Teil 2, Akt IV, Szene 5).

Der Wunsch, ewig oder zumindest länger als bis dato medizinisch möglich zu leben, ist des Vaters Gedanken von Putin und Xi. Doch auch die beiden Mächtigen werden sich dereinst dem ehernen Naturgesetz beugen müssen und dahinscheiden.

Der Tod ist der definitive Verlust aller Lebensfunktionen, das Sterben der Übergang vom Leben zum Tod, der eingetretene Tod der „Exitus letalis“ (tödliche Ausgang). Täglich gehen unzählige Menschen diesen Weg. Sie sterben: einsam oder begleitet von Familie und Freunden. Beweint oder vergessen, verzweifelt oder friedlich. Für das Sterben gibt es keine Norm. Jeder begegnet dem Tod anders. Jeder geht den letzten Weg auf ganz individuelle Weise.

Der Traum der Diktatoren

Putin und Xi stehen mit ihrem Sehnen nach Unsterblichkeit  nicht allein. Die Langlebigkeits-Forschung – also der Versuch, die innere Uhr des Alterns zurückzudrehen - sorgt nicht nur im kalifornischen Silicon Valley, sondern weltweit für Milliarden-Investitionen in Biotech-Firmen. Die Branche boomt.

In den USA investieren Bio-Begeisterte und Milliardäre wie Peter Thiel, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg Millionen in die Forschung. Bioinformatiker und Langlebigkeits-Guru Aubrey de Grey erklärt, dass ein Mensch bald 1000 Jahre alt werden könne, weil schadhafte Zellen durch Stammzell-Infusionen repariert werden könnten.

Technologieunternehmen arbeiten daran, im Bio-Drucker mit Hilfe von menschlichen Zellen Ersatz für erkrankte Organe zu schaffen. Thiel hat angekündigt, sich später einmal einfrieren zu lassen, damit er möglicherweise irgendwann in der Zukunft wiederbelebt werden kann.

Lebenserwartung verdoppelt

Doch wie realistisch sind all diese Fantastereien? Wer würde von solch teurer High-Tech-Medizin profitieren? Und welche Auswirkungen hätte eine stark verlängerte Lebenserwartung auf Gesellschaften und das Selbstverständnis des Menschen?

Schon jetzt gibt es dramatische Fortschritte in der Medizin: Die durchschnittliche Lebenserwartung hat sich in den vergangenen 120 Jahren in den Industrieländern sowohl für Männer als auch für Frauen verdoppelt. Dabei spielte die Verringerung der Säuglings- und Kindersterblichkeit lange eine entscheidende Rolle.

Mittlerweile ist jedoch auch die Lebenserwartung in höheren Altersjahren deutlich gestiegen – dank Fortschritten in der medizinischen Versorgung, Hygiene, verbesserter Ernährung und Wohnsituation sowie gesünderen Arbeitsbedingungen.

  • Die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt lag in Deutschland 2024 für Frauen bei 83,5 Jahren und für Männer bei 78,9 Jahren.
  • 1871/1881 betrug sie für Männer 35,6 Jahre und für Frauen 38,5 Jahre.
  • Darüber hinaus gibt es heute weltweit mehr als 500.000 Menschen, die 100 Jahre und älter sind. Eine Zahl, die sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdreifacht hat
  • Bevölkerungsforscher und Biologen rechnen für die Zukunft mit einem weiteren Anstieg. In der Bevölkerungsvorausberechnung geht das Statistische Bundesamt bis 2070 von einem Anstieg der Lebenserwartung für Männer von 4 bis 8 Jahren und für Frauen von 3 bis 7 Jahren aus.

Irgendwann bricht das Gesamtsystem zusammen

Doch irgendwann ist Schluss – selbst bei den Mächtigsten Staatenlenkern. „Tatsächlich sehen viele Forscher ein Alter von etwa 120 Jahren als eine natürliche Obergrenze für den Menschen an“, heißt es beim Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln.

Ron Jachimowicz, Oberarzt für Onkologie und Forschungsgruppenleiter am Institut, erklärt: „Unser Körper ist nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht dazu gebaut, länger zu leben.“ Man könne zwar unter bestimmen Umständen ein einzelnes krankes Organ austauschen. „Aber da Altern den gesamten Organismus betrifft, bricht das Gesamtsystem des Körpers irgendwann zusammen.“

Länger leben dank gesunder Lebensweise

Viel Spielraum für Forschung und Medizin sieht der Onkologe und Wissenschaftler allerdings dabei, die letzten Lebensjahre zu einer gesunderen Lebensphase zu machen. Der individuelle Alterungsprozess lässt sich womöglich beeinflussen und damit auch die Gesundheitsspanne verlängern: Vor allem durch ausreichend Bewegung, genügend Schlaf und gesundes Essen.

Doch Putin und Xi träumen nicht von einem gesunden Leben, sondern davon „Unsterblichkeit zu erlangen“. Träume sind Schäume, heißt ein bekanntes Sprichwort, das an die Vergänglichkeit des Lebens wie das Zerplatzen von Seifenblasen erinnert. Oder wie der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, der als passionierter Kettenraucher 96 Jahre alt wurde – einmal sagte: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“