Die kleine Schwester vom großen Star

Kultur

Auch Marcel Duchamps Schwester Suzanne war eine produktive Dada-Künstlerin. Eine Ausstellung erinnert an die ziemlich verrückte Truppe.

Vor ihrer Dada-Phase malt Susanne Duchamp gegenständlich: „Intimität“ von 1911.

Vor ihrer Dada-Phase malt Susanne Duchamp gegenständlich: „Intimität“ von 1911.

(Foto: Suzanne Duchamp / VG Bild-Kunst, Bonn 2025)

Von Adrienne Braun

Die Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen. Pech, wer einen berühmten Namen trägt. Und der Bruder von Suzanne Duchamp ist wahrlich berühmt, weil er wie kaum ein anderer Künstler ungeheuer frech und radikal die Kunst auf den Kopf stellte: 1917 hängte Marcel Duchamp ein – vorab signiertes – Urinal aus dem Baumarkt in eine Ausstellung. Es war der Beginn einer neuen Zeitrechnung in der Kunst.

Stapelweise Bücher sind entsprechend über Marcel Duchamp erschienen. Dass seine Schwester Suzanne aber ebenfalls erfolgreich als Dada-Pionierin ausstellte, ist in Vergessenheit geraten. Deshalb war es auch nicht einfach, noch Werke aufzutreiben für die Ausstellung „Suzanne Duchamp“, mit der die Schirn Frankfurt nun ihr Interimsgebäude in Bockenheim eröffnet hat – denn das Stammhaus am Römer muss saniert werden. Stattdessen kann man nun in einer ehemaligen Druckerei das wahrlich kuriose Werk von Suzanne Duchamp entdecken, die sich alle paar Jahre neu erfand und zu Recht einmal konstatierte, dass sie die Freiheit und Rigorosität der Dada-Bewegung zu einem „unabhängigen Geist“ gemacht habe. In eine Schublade lässt sich ihr Werk definitiv nicht stecken.

Die Duchamps müssen eine ziemlich verrückte Truppe gewesen sein. Kunst war das zentrale Thema in der Familie, denn auch Suzannes Brüder Raymond und Jacques widmeten sich der Kunst. Sie selbst, 1889 geboren, besuchte in Rouen die Kunstschule und war schon früh in der Dada-Bewegung engagiert und bestens vernetzt. Sie machte sich einen Namen mit experimentellen Collagen, bei denen sie oft gefundene Dinge applizierte – Perlen, Metallpapier und Schnur oder auch Teile aus Uhren. Oftmals tauchen auch Wörter und Texte auf den Werken auf, denen sie mal humorvolle und immer rätselhafte Titel gab wie „Vergessene Ariette der benommenen Kapelle“ oder „Gebrochene und wiederhergestellte Multiplikation“.

Suzanne Duchamp mache „intelligentere Dinge, als zu malen“, schrieb ihr Künstlerfreund Francis Picabia einmal über sie, aber nach ihrer Dada-Phase fing sie sehr wohl an zu malen – wobei sich ihr Stil im Lauf der Jahrzehnte erstaunlich oft wandelt. Zeitweise entstanden freie Seelenlandschaften, dann wieder traditionell anmutende Stillleben. Mal malte Suzanne Duchamp abstrakt, dann wieder erinnern die Bilder an naive Malerei.

Die Kuratorinnen der Schau waren bemüht, jede neue Phase kunstwissenschaftlich einzusortieren und zu erklären. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass Suzanne Duchamp in ihren Anfängen als Dada-Pionierin am Puls der Zeit war, aber das, was danach entsteht, zwar ordentlich ist, aber künstlerisch nicht mehr bedeutend oder innovativ. Freilich muss die Forschung aufarbeiten, welches Material wann wie zum Einsatz kam und worauf die Künstlerin stilistisch referierte. Für eine Ausstellung fürs Publikum wäre dagegen die kulturgeschichtliche Perspektive sehr viel interessanter gewesen. Man hätte sich gewünscht, dass das Umfeld der Duchamps beleuchtet wird und auch die historische Phase plastischer würde, in der junge Leute ihr Künstlerdasein so lustvoll und exzentrisch inszenieren konnten.

Denn es ist schon bemerkenswert, wie selbstverständlich die Geschwister Duchamp und ihre Freunde mit der Kunst lebten und sich über sie definierten. Sie trafen sich wöchentlich in ihren Atelierwohnungen in Paris, schufen gemeinsame Werke, beeinflussten sich gegenseitig und hatten dabei alle nur ein gemeinsames Ziel: „neue Ideen“ zu produzieren, Ideen, die es so noch nie gab.

Eine Anekdote gibt eine Ahnung davon, wie besessen die Truppe von der Kunst war. Als Suzanne Duchamp 1919 den Schweizer Maler und Grafiker Jean Crotti heiratete, hatte ihr Bruder Marcel ein besonderes Hochzeitsgeschenk für die beiden: eine „Anweisung zur Ausführung eines Ready-Mades“. Dazu mussten die Frischvermählten ein Geometrie-Lehrbuch auf dem Balkon aufhängen, damit der Wind Kunst produziert – indem er durch das Buch wehte, die Seiten umblätterte und sie allmählich herausriss.

Bis 11. Januar, Di bis So 10 bis 19 Uhr, Do 10 bis 22 Uhr